Fragen und Antworten
Mit der Untersuchung wollen die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ) und die Konferenz der Ordensgemeinschaften (KOVOS) eine wissenschaftliche und unabhängige Sicht auf die jüngere Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche Schweiz ermöglichen. Eine solche Untersuchung ist vor allem den Betroffenen geschuldet. In erster Linie ist die Kirche ihnen gegenüber verpflichtet, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und aus ihr zu lernen. Auch gegenüber der gesamten Gesellschaft stehen die kirchlichen Institutionen in der Pflicht, Transparenz zu schaffen und das Ausmass und die systemischen Ursachen des sexuellen Missbrauchs in den eigenen Reihen von unabhängiger Stelle untersuchen zu lassen. Dabei gilt es, die personellen und institutionellen Bedingungen und Zusammenhänge aufzudecken, die sexuellen Missbrauch in der Kirche ermöglicht oder gar begünstig haben, die Veranwortlichen zu benennen und nach Möglichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.
Darüber hinaus sind die kirchlichen Entscheidungsträger dafür verantwortlich, dass alle Menschen im Umfeld der Kirche in ihrer Würde und sexuellen Integrität geschützt werden und Übergriffe konsequent geahndet, den staatlichen Stellen zur Anzeige gebracht und nicht vertuscht werden.
In verschiedenen Ländern wurden zuerst Untersuchungen durchgeführt und dann Präventionsmassnahmen beschlossen. In der Schweiz lief es umgekehrt. Nach ersten wichtigen Massnahmen zur Vermeidung von Missbrauch und der Untersuchung der Missbräuche in einzelnen Institutionen will die römisch-katholische Kirche die Aufarbeitung nun auch gesamtschweizerisch angehen. Das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» hat sich seit 2002 für geeignete Massnahmen und die Entwicklung von Meldestrukturen eingesetzt. Auf diesem Weg kam 2016 auch der Genugtuungsfonds zustande. Er entrichtet Genugtuungsbeiträge an Betroffene, deren Fälle verjährt sind, so dass die Täter strafrechtlich nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können. Weitere Massnahmen werden zusammen mit dem Schlussbericht zum Pilotprojekt präsentiert.
Das Pilotprojekt soll für weitere, vertiefte Forschungsprojekte zum Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche Grundlagen bereitstellen. Dazu haben die Auftraggeberinnen mit der Projektleitung sechs Ziele definiert.
Verschiedene Gespräche mit Fachpersonen haben ergeben, dass es sinnvoll ist, in einem ersten Schritt Vorarbeiten zu leisten, deshalb auch der Begriff «Pilotprojekt». So geht es zum Beispiel darum, ein Bild von der Aktenlage zu erhalten, relevante Informationen zu sammeln, zu klären, wie die Zeugnisse von Opfern und Betroffenen in die Forschung einbezogen werden können, anhand von Einzelfällen wichtige Fragen für die weitere Forschung zu identifizieren usw. Das Pilotprojekt soll damit wichtige Voraussetzungen und Grundlagen für weitere Forschungsprojekte schaffen.
Die Auftraggeberinnen haben sich vertraglich dazu verpflichtet, dem Forschungsteam den Zugang zu gewährleisten. Sofern dies an einzelnen Orten notwendig ist, werden sie das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen und die notwendige Überzeugungsarbeit leisten.
Mit der Bischofskonferenz, den Ordensgemeinschaften und den in der RKZ zusammengeschlossenen kantonalkirchlichen Organisationen haben sich die wichtigsten katholischen Institutionen in der Schweiz verpflichtet, Archive zugänglich zu machen und Akteneinsicht zu gewähren. Für die Forschung sollen auch die bischöflichen Geheimarchive geöffnet werden.
Zum besseren Verständnis des Begriffs «Geheimarchiv»: Laut Kirchenrecht muss jedes Bistum über ein vom normalen Diözesanarchiv getrenntes Archiv verfügen, in dem «geheim zu haltende Dokumente» aufzubewahren sind (Kodex des Kirchenrechts can. 489). Dazu gehören auch Akten aus kirchlichen Strafverfahren in Missbrauchsfällen.
Da die Zuständigkeit für die einzelnen Archive bei den einzelnen Institutionen liegt, können die Auftraggeberinnen die Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam nicht erzwingen. Aber sie werden sich dafür einsetzen und Überzeugungsarbeit leisten. Wer die zugesagte Akteneinsicht verweigert, erschwert oder behindert, muss zudem damit rechnen, dass die mangelnde Kooperation seiner Institution im Schlussbericht erwähnt wird.
Rechtlich ist jedes Bistum, jedes Kloster und jede Kirchgemeinde eine eigene Institution und trägt diese Verantwortung selbst. Jeder Bischof in seinem Bistum, jeder Ordensobere in seinem Kloster und jede staatskirchenrechtliche Behörde ist dafür verantwortlich, dass die Forschenden den für die Untersuchung benötigten Aktenzugang erhalten.
Die Auftraggeberinnen sind überzeugt, dass der Stimme und den Erfahrungen von Opfern für die Aufarbeitung der Vergangenheit eine grosse Bedeutung zukommt. Auf welche Weise sie in das Forschungsprojekt einbezogen werden, liegt im Ermessen der Projektleitung. Das ist Teil der von den Auftraggeberinnen garantierten Unabhängigkeit der Untersuchung.
Die vertraglich festgelegten Governance-Strukturen bilden eine solide Grundlage für eine unabhängige Forschung. Die Verträge mit der Universität Zürich und der SGG sind öffentlich zugänglich und der Beirat wird sorgfältig auf die Wahrung der Unabhängigkeit achten.
In diesem Fall haben die Forschenden eine Anzeigepflicht gegenüber den staatlichen Behörden. Zudem können sie die zuständige kirchliche Instanz informieren, damit auch diese einschreiten und bei Bedarf Anzeige erstatten kann.
Das Forschungsvorgehen festzulegen, ist Aufgabe der Projektleitung und Teil der vertraglich geregelten wissenschaftlichen Unabhängigkeit des Projekts.
Für das einjährige Pilotprojekt wurde im Vertrag mit der Universität Zürich ein Kostendach von rund 380'000 Franken vereinbart. Hinzu kommen rund 70'000 Franken für die Arbeiten der SGG, gesamthaft also etwa 450'000 Franken.
Durch grundlegende strukturelle Veränderungen sowie durch geeignete und konsequent umgesetzte Präventionsmassnahmen. Dazu gehört eine professionelle Personalpolitik, in der das Wohl von vulnerablen Personen an oberster Stelle steht. Dies bedingt eine sehr sorgfältige Auswahl von kirchlichem Personal. Wer mit Minderjährigen und mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen zuverlässig arbeiten soll, muss nicht nur theologisch geschult sein, sondern auch die dafür erforderlichen menschlichen Qualitäten mitbringen. Dazu gehört ein reifer Umgang mit Sexualität. Es braucht flächendeckende, regelmässige und verbindliche Präventionsschulungen für alle Mitarbeitenden. Grenzverletzungen müssen konsequent sanktioniert, Sexualstraftaten strafrechtlich verfolgt werden. Voraussetzung für all dies ist ein echter Kulturwandel in der Kirche, der auch den Umgang mit der menschlichen Sexualität betrifft. Der Schutz der Person muss in jedem Fall über dem Schutz der Institution stehen. Zudem gilt: Keine Massnahme der Welt kann einen hundertprozentigen Schutz vor Missbrauch bieten. Deshalb muss die Kirche auch einen angemessenen Umgang mit dem Versagen und der Schuld von Exponenten und Exponentinnen aus ihren Reihen finden.